Five Sexrooms und eine Küche (Eva Heldmann, D 2007)
TAZ 27. 08. 08
© Claudia Lenssen
Für die FetischistInnen extremer Highheels ist „Five Sexrooms und eine Küche“ unbedingt empfehlenswert. Ein gefühltes Drittel des Dokumentarfilms von Eva. C. Heldmann zeigt gepflegte Frauenbeine von realistischer Länge, die auf Plateausohlen und superspitzen Absätzen durch den Flur stöckeln. Auch in der Küche bieten die plastikfarbenen Phantasiegebilde den Blickfang für die Kamera.
Es geht gemütlich zu. Die Küchentischdecke hat blaue Kringel, das Ikea-Inventar ist sparsam, gekocht wird auch, nur ist leider kein Olivenöl da. Wenn die Telefone auf dem Tisch zirpen, führen die Frauen, die die Küche bewohnen, ihre Kundengespräche mit professioneller Launigkeit – eine freundschaftlich zärtliche Tonart, die man woanders oft vermisst. „ Schönen guten Tag“ zieht sich als melodiöser Spruch durch Eva C. Heldmanns Stimmungsbericht aus einem Frankfurter Wohnungsbordell.
Tina und Nadine sind füllige Frauen mit Langhaar und Tattoos, in schwarze Lederkleidchen mit Hüftlänge eingepellt. Ihre schwarze Hundetöle schlummert im Körbchen. In den Pausen werden Bücher gelesen. Lady Tara, eine Domina jenseits vierzig, weniger puppenhaft als die Kolleginnen, zeigt beiläufig ihr Fleisch, wenn sie beim An- und Auskleiden ins familiäre Ambiente hereinschneit. Dann ist da noch Cindy, die schmale Junge, die ihren Pickel im Lauf der Dreharbeiten los wird, wortlos an ihren abenteuerlichen Catsuits nestelt und öfter beim Sauberwischen gefilmt wird. Nüchtern deklarieren alle Frauen am Telefon ihren Typ und ihre Spezialitäten.
Die Kamera von Rainer Komers kann sich den skurrilen Momenten des Spektakels nicht entziehen, z.B. zeigt sie Cindys Hinterbacken in rotem Netzwerk, was wie aufgespießt auf die spitzen Absätze aussieht, wenn das Mädchen in der Hocke mit dem Kehrblech hantiert. Futter für VoyeuristInnen liefert der Film, nur sind die Weiblichkeitsfetische hier realer und lebendiger als z. B. die Sex-Ikonen von Bettina Rheims. Subtiler Glanz wohnt den Bildern durch die Musik bei, z.B. den Gesang einer Berberin oder Mozarts „Arie der Königin der Nacht“.
Eva C. Heldmann ist eine Frankfurter Kinomacherin und Programmkuratorin aus dem Umkreis der Zeitschrift „Frauen und Film“, die seit 1984 auch Dokumentarfilme dreht. Sex als Lebensform und Profession, gesehen aus einem unverkrampften feministischen Blickwinkel, ist ihr Thema. „Fremdgehen. Gespräche mit meiner Freundin“ (1999) handelt z.B. von den sexuellen Begegnungen einer feministischen Intellektuellen mit der „Fremde“, d.h. mit schwarzen G.I.s, die in der Frankfurter Region stationiert waren . Auch „Five Sexrooms und eine Küche“ ist ein Plädoyer fürs Leben-und-Leben-Lassen. Der Film wirkt wie ein unangestrengter Beweis für die Lebenstüchtigkeit und das Selbstbewusstsein von Prostituierten. Er funktioniert wie ein explizites Widerwort gegen Alice Schwarzers ideologische Sanktionierung der Prostitution.
Eva C. Heldmann zeigt vier Frauen eines Milieus, das sie im Griff haben. Tina, eine S/M-Expertin für die „Gemeinschaftserziehung“ von (oft uneingestandenen) Bisexuellen, ist die Chefin des Ladens und eine patente Philosophin des Gewerbes. Sie besteht auf ihrer Lebenserfahrung, dass Vögeln „nichts Heiliges“ sei, dass die Debatten um Zwangsprostitution und Gewalt nur die Extreme verallgemeinerten. Aus Tinas gelassener Sicht wird Sex mit Prostituierten überbewertet, denn ob man den „Körper eines anderen benutzt oder wie bei einem guten Gespräch dessen Geist“, sei doch gleich. Und mit unübertrefflicher Logik fügt sie an: „Nur weil manche Frauen in der Ehe unglücklich sind, wird auch nicht gleich die Ehe abgeschafft.“
„Five Sexrooms und eine Küche“ entmystifiziert das Thema Prostitution durch solche Statements. Doch leider weckt er zwar mitfühlende Neugier, lässt Nachfragen über die Details und Betriebsgrundlagen des Bordells jedoch aus. Vor allem: wieder einmal bleiben die Freier unkenntlich und unsichtbar. Bis auf ein paar behaarte Beine, Stöhnlaute und Rammelgeräusche aus dem Off oder einen kleinlauten Nacktfrosch bei der S/M-Behandlung – durch Spiegelaufnahmen und aussparende Bildausschnitte verfremdet – fehlen sie. Lästige Realien wie Bezahlung, Kondome, Krankheitsvorsorge, Gewerbeordnung, Putzservice bleiben außen vor. Das Badezimmer ist ebenso tabu wie nähere Einblicke in die Sexrooms. Die Mystifikation dieser heterotopischen kleinen Welt wird durch die Bildführung wieder eingeführt, wenn die Kamera aus einem Blickwinkel, der dem von Tinas Hündchen gleicht, den Catwalks der Highheels durch den Bordell-Flur folgt und die Sinfonie der Beine den Film dominiert.