Old Joy (R: Kelly Reichardt, USA 2007)
erschienen in epd-Film, 11/2008
© Claudia Lenssen

Es passiert nicht viel in „Old Joy“, doch Kelly Reichardts sublimer kleiner Spielfilm spürt einem melancholischen Zeitgefühl nach, das wie die Vorahnung der aktuellen amerikanischen Identitätskrise wirkt. Entstanden unter dem Zeichen des Wahlkampfes um das Präsidentenamt 2004, legt er mit dokumentarischer Beiläufigkeit die Ratlosigkeit einer Generation frei, die von einer Alternative zum Lebensentwurf der New Economy träumte, von ihr abgehängt wurde und jetzt ratlos auf die Signale zunehmender gesellschaftlicher Spannungen reagiert.
Zwei Freunde treffen sich nach langer Zeit, um einen Ausflug zu unternehmen. Kurt (Will Oldham), ein hippiesker Kauz und Vagabund, ist nach Portland/Oregon zurückgekehrt und tut sich schwer, an die linken Kumpel-Biotope seiner Jugend anzuknüpfen. Mark (Daniel London), Lehrer in einem abgewrackten Reihenhäuschen, erwartet mit seiner Frau das erste Baby. Man hat die dreißig erreicht, die Freundschaft ist eingerostet, das Land hat sich verändert. Die beiden Charakterköpfe, die sich mit Hündchen Lucy auf den Weg machen, könnten auch frustrierte, mit leiser Ironie begabte Apostel in einem gottverlassenen Bibelfilm sein.
Ihre Fahrt in Marks altem Volvo in die Wälder am Fuß des Mount Hood führt lange an Industriezonen, Tankstellen und Diners vorbei. Aus dem Radio dringt das endlose Parlando amerikanischer Normalbürger, die sich bei einem religiösen Sender zu den Wahlkampfthemen Luft machen und die eigenen Erfahrungen mit dem Gesundheits- und Bildungswesen, mit steigenden Kosten und düsteren Prognosen bereden. Kurt und Mark scheinen gegen diesen bitteren Diskurs immun, ihre hingeworfenen Dialoge konstatieren Verluste, aber auch enttäuschten Rückzug. Ein Getränkeshop, in dem man sich mit Dosenbier versorgt, war früher ein subversiver Plattenladen. Der Unrat auf einer Waldlichtung reißt Kurt zu dem Satz hin, dass Natur und Zivilisation sich sowieso anglichen: Bäume in der Stadt, Zivilisationsmüll im Wald.
Ziel sind die heißen Quellen von Bagby, ein wahrhaft verwunschener Ort. Die Freunde gelangen erst nach anfänglicher Irrfahrt, nach komplettem Netzausfall und einer Nacht im Zelt zu der aus der Zeit gefallenen alten Badeanlage. Wenn sie in den hölzernen Wannen liegen, die Wasserzuläufe im Regen plätschern und die Kamera die Vögel in den Bäumen beobachtet, scheint eine „alte Freude“ zurückgekehrt. Nach dem Ende der Utopien stellen die Bilder die alten Fragen neu. Henry David Thoreaus spirituelle Naturerfahrung in „Walden“ ist in der wohltuenden Stille mit allen Sinnen zu greifen, sein Motto „Ich wollte nicht das leben, was nicht Leben war“ ein möglicher Schlüssel zu Kelly Reichardts unaufdringlichem Generationenportrait.
„Old Joy“, entstanden nach einer Romanvorlage von Jonathan Raymond und produziert von Todd Haynes, erzählt eine transzendentale, um verlorene Großstadtmänner kreisende „Brokeback Mountain“-Variante. Kein wuchtiger Schlusspunkt ist angesichts ihrer freundlich lausigen Unentschiedenheit denkbar. Am Ende wandern sie zurück, fähren in die Stadt, werden sich womöglich nie wieder sehen. Dennoch bleibt der Zauber, als sei ein neuer Anfang gemacht. Yo La Tengos und Smokey Hormels lakonische Folkblues-Musik, bei der der Bass die Melodien trägt, trägt ihren Teil dazu bei.

4 Sterne

Ein Ausflug zweier Freunde in die Wälder von Oregon wird in Kelly Reichardts dokumentarischem Spielfilm als sarkastisch melancholisches Generationenportrait erzählt. Die einstmals von alternativem Leben überzeugten Dreißigjährigen ziehen sich von Bushs Amerika zurück, ohne ganz entfliehen zu können.